Monatsgeschichte für den Mai 2017

Das Glück

Eines Tages beschloss das Glück, in die weite Welt zu gehen. Es wollte viele Menschen treffen, ihnen einen Wunsch erfüllen und sie glücklich machen. So wanderte es frohgemut seines Weges.

Zuerst begegnete ihm ein reicher Kaufmann. Das Glück fragte: „Hast Du einen Wunsch? Ich möchte Dir etwas geben, damit Du glücklich bist.“ Der Kaufmann überlegte nicht lange. „Ich wünsche mir viel Geld. Denn Geld macht mich glücklich.“

Das Glück war überrascht. Es hatte mit anderem gerechnet. Aber versprochen war versprochen. Ein Mensch war also glücklich, wenn er Geld hatte. Nachdenklich ging es weiter und kam an einem Feld vorbei, auf dem ein Bauer gerade schwere Säcke trug.

„Ach, hätte ich Pferd und Karren, das wäre ein Glück. Dann fiele mir die Arbeit nicht so schwer!“ Auch ihm erfüllte das Glück seinen Wunsch. Ein Mensch war also glücklich, wenn seine Arbeit leicht war.

Auf seinem Weg traf es einen Schäfer, eine Marktfrau, einen Schuster und viele andere. Und jeder wünschte sich eigenartige Dinge zu seinem Glück: ein Haus, eine Halskette, eine Herde, Mägde und Knechte. Es gab so vieles, was die Menschen wollten. Das Glück gab und gab. Und immerzu dachte es darüber nach, was die Menschen für Glück hielten.

Irgendwann verlor es die Gabe, zu schenken. Und darum ist heute jeder Mensch selbst seines Glückes Schmid.

© Martina Hörle