Die Mitglieder der Solinger Autorenrunde werden auch in diesem Jahr einen Literarischen Wandertag veranstalten. Er führt uns durch den idyllischen Vorwerk-Park in Wuppertal.
An speziell ausgesuchten Leseplätzen werden wir eine kleine Auswahl unserer eigenen Texte zum Besten geben. Untermalt wird die Lesung auch diesmal wieder durch Musik. Mehrere Mitglieder des FDA werden ebenfalls unsere literarische Runde verstärken.
Natürlich sind wir bestrebt, möglichst viele Gäste zu begrüßen. Jeder Literaturinteressierte ist willkommen! Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Veranstaltung: 1. September 2019 Treffpunkt: Vorwerk-Park, Adolf-Vorwerk-Straße 33, 42287 Wuppertal Uhrzeit: 15 Uhr Dauer: Ca. 2,5 Stunden
Weitere Informationen werden zeitnah bekanntgegeben.
Vorne ist ein leicht bewaldeter Hügel zu sehen. Hinter ihm, gerade noch von hier aus erkennbar, eine weiße Kapelle, zu der nur noch ab und zu Touristen den Weg finden: Japaner, Engländer, manchmal auch Touristen aus anderen Ländern. Der Hügel ist einer von mehreren in dieser landschaftlich ziemlich reizvollen Gegend. Die Besiedlungsdichte hier ist sehr dünn, auf diesem besagten bewaldeten Hügel hat eine Familie ihr bescheidenes Domizil, das sie ungern verlässt. Früher wurde auf diesem Hügel wie überall in der Gegend mal rege gewirtschaftet – die Landwirtschaft nahm einen breiten Raum ein. Auf den Tourismus war man nicht angewiesen! Seitdem die Landwirtschaft nicht mehr rentabel ist, wird auf sie fast ganz verzichtet. Seit dem Aufkommen des Tourismus wurde in der Gegend überall die Infrastruktur wesentlich verbessert, gewissermaßen ist erst mit ihm die Zivilisation richtig eingezogen, wenngleich so mancher Senior meint, dass es früher viel besser gewesen sei. Die Jüngeren haben sich mit der wirtschaftlichen Entwicklung abgefunden. Es gibt durchaus den einen oder anderen Bewohner der Mroder Gegend, der die neue Zeit hoch schätzt. Zum guten Ton gehört es bei den Bewohnern aller Hügel und der Kleinstadt Mrod, dass gesagt wird „Uns geht es doch auch gut!“. Kurzum, irgendwie finden sich fast alle, die hier zu Hause sind, zurecht. Aber man hat noch nicht gehört, dass irgendjemand die neue Zeit der touristischen Heimsuchung als große Zeit bezeichnet hätte, denn das ist sie offensichtlich nicht.
Die aparte 15jährige Beatrix gehört seit Langem zur
Familie, die auf diesem einen bewaldeten Hügel nahe Mrod wohnt, aber trotzdem
anerkennt man sie nicht als vollwertiges Familienmitglied. Die vielen Jahre
haben daran nichts geändert, es sind nun schon fast zehn. Ihre Pflegefamilie,
die Familie Wecker, ist in Mrod als Familienhügel-Familie bekannt.
Haushaltsvorstand Kurt Wecker, von Beruf Elektroniker, findet diese Bezeichnung
unerträglich, aber die Beschwerden bei allen möglichen Kleinstädtern haben
nichts genutzt: die Weckers haben den Ruf als Deppen vom Lande nun einmal weg.
Wenn die auch als reichlich vorlaut geltende Beatrix ,
was selten vorkommt, mit ihrem portablen CD-Player, Knopf im Ohr, allein durch
Mrod geht, dann fühlt sie sich schon viel besser als in ihrer Pflegefamilie
aufgehoben, wenn auch bei weitem kein Glücksgefühl aufkommt, was ihr aber nicht
so viel ausmacht. Gern würde sie in die
Kleinstadt ziehen. Pflegevater Kurt wird es ihr nicht erlauben, weshalb sie nur
noch darauf wartet, endlich volljährig zu werden. „Die Mroder sind
aufgeschlossener, netter, umgänglicher!“ tönt sie in ihrer Familie häufig
herum, kein Wunder, dass sie Pflegemutter Maische als „Verrückte“ hinstellt.
Immer wieder sucht sie den Konflikt mit ihrer Pflegetochter, die ihrerseits um keine
beleidigende Erwiderung verlegen ist, was in der Familie für eine Grundstimmung
sorgt, die für Beatrix natürlich auf Dauer inakzeptabel ist. Die Mroder kennen
Beatrix, sie mögen sie sogar. Ja, die Mroder, genauer: Edelfriseur Lagarde, der
in seinem Salon allerhand fachliche Dienstleistungen anbietet, hat ihr schon
eine Ausbildungsstelle offeriert. Noch hat Beatrix das nicht angenommen. Bald
wird sie ihren ersten Schulabschluss in der Tasche haben – dann steht eine
weitere wichtige Entscheidung an, nämlich ob sie weiter zur Schule geht oder
nicht. Sie könnte sich eine höhere berufliche Zukunft vorstellen. Heutzutage
geht man lange zur Schule, wenn es irgend geht.
Die missliche Grundstimmung bei den Weckers, die eben
auch deswegen misslich ist, weil Beatrix als Mensch nicht anerkannt wird, trägt
nicht dazu bei, dass Beatrix auch nur die geringste Anhänglichkeit zu ihrer
Pflegefamilie entwickelt hat. Sie kann es nicht mehr abwarten, wegzukommen. Nur
zu gern will sie auch jetzt schon mit Jungen ausgehen und „das Leben genießen“,
sie selbst sein und machen, was ihr
wichtig ist! Sie will bei anderen, ihr gewogenen Menschen Zuneigung, sogar
Liebe erwerben. Das muss möglich sein.
Wenn das schon sehr bald Realität werden soll, so muss
sie dem anstrengenden Alltag in Familie und Schule entfliehen, doch gerade das
will sie nicht: keine Flucht! Das wäre peinlich! Natürlich will sie sich die
Zukunft nicht durch voreilige Schritte verbauen. Den Schulbesuch hält sie
mindestens bis zum anstehenden ersten und so wichtigen Abschluss für absolut
notwendig. Vielleicht denken viele ihrer Mitschüler so. Sie denkt jedenfalls
so!
Wie schon deutlich gemacht, ihr Alltagsleben findet sie
anstrengend, manchmal fast unerträglich – also kriecht sie nur mehr durch ihren
Alltag (jede Streiterei mit ihrer Pflegemutter ist durchaus eine Abwechslung),
dieses quälende Alltägliche: steht morgens auf, zieht sich an, geht in den
Frühstücksraum im Haus ihrer Pflegefamilie, findet Elterliches nur noch öde,
zerbricht zufällig-versehentlich Becher, Tassen oder Kaffeekannen. Immer will
sie am liebsten wieder ins Bett zurück, um den Morgen mit Schlafen zu
verbringen, doch „Der Schulunterricht ist ein Muss. Noch. Noch! Ich treffe
Entscheidungen …!“ Die Pflegeeltern
sitzen mit am Frühstückstisch und zeigen, wie gelangweilt sie sind. Sie sagen
kaum etwas, ihre Autorität halten sie für das Selbstverständlichste auf der
Welt. Und so sind Fragen nicht erlaubt. Ein freundliches, offenes Miteinander
am Frühstückstisch und auch später am Tag ist undenkbar. Ihr oft vorkommendes
abfälliges Grinsen, das in Richtung Beatrix geht, beweist ihr ein ums andere
Mal, dass sie in dieser Familie längst nur noch geduldet ist!
„Wenn das so … beschissen … sorry … bleibt, unendlich fade und trist, dann muss ich ausbrechen!“ entfährt es ihr einmal, aber selbst in diesem Augenblick der Bloßstellung der Pflegefamilie sagt Kurt, der Haushaltsvorstand, nicht mehr als „Wenn du meinst, du Biest!“ Beatrix würde diese Äußerung jederzeit wiederholen, wenn es einen Nutzen hätte, jedoch ist selbst so eine Äußerung nur in den Wind geblasen, wenn daraus keine offene Auseinandersetzung wird, in der Beatrix nicht unbedingt schlecht aussieht. Für sie ist eine offene Auseinandersetzung besser als die immer größer werdende Gleichgültigkeit ihrer Pflegeeltern, die mittlerweile sehr nervt. Geschäfte, Geschäfte, Geschäfte: darum geht es der Familie Wecker im Grunde nur.