Rezension: Kay Ganahls „ZeitSPHÄREN im Bunker“

Kay Ganahl: ZeitSPHÄREN im Bunker 

Essay, Prosa, Poesie, Foto

Erschienen 2023 im SHAKER Media, Düren, 296 Seiten

ISBN-Nr. 978-3-95631-956-3

Der Autor Kay Ganahl gliedert in seinem Buch ZeitSPHÄREN den imaginären Bunker in drei Geschosse. Im Essay, dem ersten Geschoss, definiert er den Begriff Zeit für den Menschen auf rationaler Ebene. Was kann man alles mit Zeit machen? Hier setzt er auf wissenschaftliche Abhandlungen mit hintergründigen Aussagen.  

Im zweiten Geschoss, der Autor schreibt nun in der Prosa, setzt er in jedem der 46 kurzen Kapitel auf jeweils andere Protagonisten. Die Situationen sind alltäglich, privater oder beruflicher Natur, manchmal politisch angehaucht. Die verschiedenen Akteure finden Leser in fiktiven, in sich geschlossenen Geschichten. Die Themen könnten trotzdem aus dem Leben gegriffen sein. Jeder und jede Lesende wird sich irgendwo wiederfinden. Mit poetischen Gedichten und kleinen Geschichten setzt Kay Ganahl das Ende seines Buchs.     

Die Zeit, die Zeit! Im Essay geht der Verfasser ausführlich auf das Thema Zeit ein. Sie ist wichtig, gibt uns Struktur, aber sie tyrannisiert den Menschen auch. Was bedeutet Zeit für uns alle, was kann man mit ihr anfangen?

Kay Ganahl spricht Themen an teilweise aus dem Alltag gegriffen, wie Robert, der Workaholic, der ständig zu wenig Zeit hat, oder Franka, die zwar gerne im Garten arbeitet, aber lieber mit ihrem Partner Stephan zusammen wäre, dem jedoch seine Modelleisenbahn im Keller wichtiger als Franka zu sein scheint. Die beiden Mädchen, die die tollsten Brüder des Ortes verführen wollen – alles bleibt nicht ohne Folgen.  

Rührend wirkt da die Geschichte um den arbeitssuchenden Machi, der sich gegenüber seiner fröhlichen, Geld verdienenden Partnerin Michaela schämt, sich neu erfinden will, und Zuflucht bei den „Wickelbrüdern“ sucht: „Vergessen kann man, wenn man will“. Da ist die Schriftstellerin, die am Schreibtisch in einem leeren Pool sitzend, den Sinn ihres Tuns hinterfragt oder der Rentner, der in Gedanken einen Zeitsprung von 70 Jahren macht.

„Es schleicht die Gleichgültigkeit durch die Räume“, Kay Ganahl springt Jahrtausende zurück ins Reich der Pharaonen, wo Opfer von Mensch und Tier zur Freude gehört, weil – nach Meinung des Pharaos – Räume auch leer bleiben können.

Kay Ganahl stellt sich die Fragen, ob Hilfsbereitschaft aus der Mode gekommen ist, was die Emanzipation im Beruf mit sich bringt, die Problematik mancher sozialen Beziehungen oder auch wie Arbeitslosigkeit Menschen vom rechten Weg abbringen kann. Also, muss der Tag eine Struktur haben? Der Autor fordert den Leser heraus. Auch wenn er seine Geschichten fiktiv nennt, Wahrheiten enthalten sie allemal. Die uns aktuell beherrschenden Themen, Naturkatastrophen, unser Ökosystem, Pandemie oder der Hang einer Minderheit zur rechten Szene, einzelnen Kapitel greifen aktuelle Themen auf.  

Poetische Gedichte bilden das dritte und letzte Geschoss des Bunkers, untermalt durch schwarz/weiß Fotos, teils verschwommen, erst auf den zweiten Blick erkennbar. „Die Zeit ist reif für das Fragestellen.“ Der Autor zieht Resümee aus einem (noch) nicht gelebten Leben? Es sind Resultate des Nicht-Erreichten, von Fehlschlägen, aber auch von Zielen. Gleichwohl gewinnt er die Erkenntnis: „Brauche die Zeit wirklich nicht.“  Hier allerdings kommt unwillkürlich Meister Hora in den Sinn aus Michael Endes Buch „Momo“: „Alle Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, ist verlorene Zeit.“

Kay Ganahl versucht in seinem lesenswerten und gut zu lesenden Buch ZeitSPHÄREN im Bunker den, wie er schreibt „…Faktor Zeit mit seinen vielen Facetten ins Licht zu setzen“. Das ist ihm gelungen, wenn auch manches Mal um die Ecke gedacht oder auch durch skurrile Situationen.

Viele Aussagen, in prosaischer Weise niedergeschrieben, eignen sich durchaus als gängige Zitate, „Zeit ist nicht Geld, Zeit muss Ruhe sein, die trägt“, oder die Erkenntnis „Das Leben besteht im sinnvollen Kern nur aus uns selber und den menschlich Nächsten und Liebsten“.

Welche Macht hat die Zeit über den Menschen? In den Mühlen des Alltags stellen wir uns die Frage, wie viel Zeit uns eigentlich bleibt, leider zu selten. Jeder sollte sie sich stellen und nur jeder kann sie für sich beantworten. Kay Ganahl regt mit seinem Buch zum Nachdenken an, wenn er seine Protagonisten in die verschiedensten Situationen und Positionen schiebt.

Dieses Buch öffnet uns die Augen. „Jedes Lebewesen ist der Zeit untertan“ ist keine neue Erkenntnis, wir müssen sie nur umsetzen.   

06. Juni 2023, Gertrud Müller, Mönchengladbach

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