Monatsgeschichte für den Februar 2017

„Schmetterlinge“

Mittlerweile war es kaum noch erträglich. Aus einem schönen, angenehmen Sommer war etwas ganz anderes geworden … die Tier- und Pflanzenwelt nahm Schaden; auch die Schmetterlinge hatten sich verzogen, Herzblätter segelten vorerst nicht mehr von den Bäumen. Alle netten Menschen schienen ausgeflogen zu sein – Augustine nahm an, dass sie nicht weit entfernt sein konnten, denn sie brauchten ja nach wie vor ein Heim. Sie wollte aber erst einmal allein inmitten der sich vor ihren Augen und Ohren verändernden Umwelt bleiben. Der Grund für diese Veränderungen war für sie ein Rätsel. Das drängende Außen des überraschenden Veränderungsprozesses zwang Augustine zum längeren Warten, denn sie musste warten, um Zeit für das Sammeln von Kenntnissen und Erkenntnissen verwenden zu können. Das freute sie.

Bevor das offenkundige und endgültige Scheitern der Natur eintrat, musste sie auch noch bei sich – in ihrem Innen – aufräumen, Gedanken finden und speichern. Holla! Gedanken! Hatte sie die denn überhaupt noch angesichts dieses ungeheuerlichen Veränderungsprozesses? All dies Neue war höchst ungewöhnlich, doch sie nahm es als wichtigste Erfahrung ihres Lebens und akzeptierte es voll.

Warum auch nicht  –  ging es doch um sehr viel?!

Oftmals blickte Augustine morgens nach der Toilette zunächst gedankenverloren aus dem Fenster vor dem Frühstückstisch in die hoffnungsfroh-bedrückende Weite dessen, was sich kurz vorher, nach dem Öffnen des Vorhangs und dem Zur-Seite-Schieben einer gelben Gardine  wieder mal unerwartet für sie aufgetan hatte.

Im Internet hatte Augustine zahlreiche Ankündigungen böser Menschlein gelesen, die nicht umhin kamen, sich weltweit für oder gegen etwas mit politischen Sprach-Attacken und Videos einzusetzen, was Augustine nicht besonders gut gefiel.

In einem der vielen Spiegel im Frühstücksraum ihrer Villa am Fuße des Berges Kakal erkannte Augustine nunmehr zu ihrem Erstaunen, dass es hier, vor Ort, noch eine gute Zeit für sie geben konnte. Sie gedachte all des Vergangenen ihres eigenen Lebens in vielen Einzelheiten, es marschierte nun bildhaft vor ihr auf.

Endlich wollte sie wieder ganz in Ruhe an ihrer Dissertation zum Thema „Welten-Verbund“ weiterarbeiten, zu diesem Zweck innerlich aufrüsten –   sich gedanklich und auch gefühlsmäßig fangen.

Keineswegs wollte sie resignieren, schon gar nicht angesichts der Gesamtlage aufgeben. Denn das Gefühl der Sehnsucht hatte sie gepackt. Eine solches, das den einzelnen Menschen bannt, fesselt und in eine andere, schönere Welt entführt. Die Erfüllung in liebender Gegenseitigkeit erhoffte sie für sich, für alle Menschen, womit sie nicht alleine stand, doch man konnte sich in diesen Wochen und Monaten nicht leicht organisieren …

Immer noch dachte sie an das Vergangene, sehr konkret Gewesene. Die sie neuerdings erfüllende Sehnsucht war gespeist aus Hoffnung. Vieles musste noch geklärt werden, doch schien nichts unmöglich zu sein.

Aus dem Buch von Kay Ganahl: „Fußangeln, Grenzpfähle und Fallgruben. Kurze Prosa“, veröffentlicht im Grille Verlag, 2013. Alle Rechte vorbehalten.


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